Der magische Ort und das Universum
„Der fliegende Engländer – Die Bregenzer Festspiele und ihr Intendant David Pountney von 2004 bis 2014“ lautet der Titel des neuesten Buchs der Bregenzer Festspiele, das die elfjährige Intendanz von David Pountney beleuchtet. Auf dreihundertsechzig Seiten erzählen Künstler und Partner des Festivals ihre ganz persönlichen Erlebnisse vor und hinter den Kulissen. Auch Franz Salzmann, ehemaliger Kaufmännicher Direktor, kommt zu Wort. Lesen Sie hier als Vorgeschmack seinen Beitrag über das spektakuläre Jahr 2008 im Festspielhaus Bregenz.
James Bond und Fußball-EM in Bregenz
von Franz Salzmann
Was wünscht man sich denn so als Festspieldirektor im letzten Berufsjahr vor der Pensionierung? Die „Kriegskassa“ ist prall gefüllt, am See spielt die Reprise von Tosca, die schon im ersten Jahr recht erfolgreich war. Da sollte man sich doch ein wenig zurücklehnen können.
Doch es kam ganz anders. Auf einmal standen da zwei Großereignisse ins Haus, unerprobte Prototypen, die zudem mit der Kultur wenig am Hut hatten. Und uns unmittelbar vor Beginn der Festspielsaison alles abverlangen sollten. Die ZDF-Arena anlässlich der Fußball-Europameisterschaft auf der Seebühne und James Bond auf der Suche nach einem Quantum Trost bei Tosca.
Eigentlich ging es in beiden Fällen um den „magischen Ort“. Vor Jahren hatten wir in einer Strategieklausur bei der Zielbild-Definition diesen Begriff als einen Kern des Festivals herausgefiltert. Und das ZDF wie auch Bond waren auf der Suche nach einem ganz besonderen Ort, beide nannten es „Location“, für ihre Vorhaben.
Zuerst war Bond an der Reihe. Das Festspielhaus und Tosca sollten einen Schauplatz für den neuen Film Ein Quantum Trost abgeben. Die Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson persönlich hatten schon ein Jahr zuvor nach einem Location Scouting die Wahl getroffen. Ende April 2008 rückte das riesige Filmteam von EON Productions an und verwandelte den ganzen Mai über das Festspielhaus und die Seebühne in ein einziges Filmset. Nächtens und bei klirrender Kälte mussten wir an den Drehtagen eine komplette Vorstellung der Oper abliefern. Auf der Tribüne fast zweitausend Statisten, die filmtechnisch zu siebentausend Besuchern vermehrt wurden. Bregenz erhielt sogar einen eigenen Airport (der lag aber eigentlich im englischen Farnborough). Das Ergebnis waren gezählte siebeneinhalb Minuten Filmmaterial, das aus Bregenz verwendet wurde. Mehr als hundert Millionen Menschen weltweit haben Ein Quantum Trost gesehen.
Bei diesem Projekt habe ich zwei Dinge dazu gelernt. Beim Erwerb von Urheberrechten muss man auch an das Universum denken. Denn die Bond-Company wollte die Künstlerrechte bis ins All. Und – in Mexiko ticken die Uhren anders. Das Urheberrecht für kreative Leistungen erlischt dort erst 100 statt 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Wir hatten aber die Rechte am Tosca- Libretto freigegeben. Der Ricordi-Verlag erwirkte eine einstweilige Verfügung. Eine Schrecksekunde. Doch „Super- Gregg“ Wilson hat das dann für uns gerichtet und wir sind nicht zu Schaden gekommen.
Kaum hatte James Bond seine Sachen gepackt, quartierte sich das ZDF mit über 200 Mitarbeitern im Festspielhaus ein. Auch der Sender sucht für die Berichterstattung über Großereignisse immer ein außergewöhnliches Ambiente, eben einen magischen Ort. Bei den Olympischen Spielen in Athen war man immerhin auf der Akropolis. Für die Fußball-EM 2008 sollte die Seebühne in Bregenz der zentrale Ort für die Präsentation der EM durch das legendäre Trio Johannes B. Kerner, Jürgen Klopp und Urs Meier sein. Für uns und die Region ein Giga-Marketing-Event mit der Zielgruppe Kernmarkt Deutschland. 217 Millionen Seher am Bildschirm. 50 Sendestunden aus der Arena zwischen Tribüne und dem Tosca-Auge, das orange eingefärbt werden musste. Dazu Nebenprodukte wie drei „Auswärtsspiele“ der ZDF-Sportschau und des ZDF-Sportstudios mit jeweils 6.000 Fans im „Studio“, einmal mit dem Pianisten Lang am Klavier. Drei Mal die Koch-Kult-Sendung Lafer!Lichter!Lecker! vor der voll besetzten Tribüne, Mona Lisa und etliche andere Sendeformate. Und nicht zu vergessen – jeden Abend Public Viewing. Für uns 125.000 zahlende Besucher. Für den Sender eine noch nie dagewesene Stimmungskulisse. ZDF-Projektleiter „Ekke“, ein alter Hase, schrieb uns dann, als alles vorbei war: „Die Zeit mit euch war die bisher großartigste, die ich je erleben durfte“.
Am Ende der Geschichte hat man uns immer wieder gefragt: „Was habt ihr dafür bezahlt, dass James Bond und das ZDF nach Bregenz gekommen sind?“. Nichts haben wir bezahlt. Für jeden benutzten Quadratmeter wurde ordentlich Miete entrichtet und jede Arbeitsstunde bezahlt. Ebenso die Vorstellungen von Tosca. Mit dem Überschuss konnten wir David Pountney einen Wunsch erfüllen und ein Projekt mit zeitgenössischer Musik ermöglichen.
Als auch die Festspielsaison zu Ende war, ging ich dann wirklich in Pension – zumindest bei den Bregenzer Festspielen. Noch heute freue ich mich über die Grußbotschaften per Video von Barbara Broccoli und Michael G. Wilson, von Johannes B. Kerner, Jürgen Klopp und Urs Meier, die bei meiner Abschiedsfeier eingespielt wurden. Wie sagte da noch Kerner mit Blick auf das Festspielhaus zu seinen beiden Kollegen: „Das gehört alles dem Salzmann – der geht jetzt in Pension.“ Beides, sagen wir, ist nicht ganz korrekt.
Franz Salzmann
… zählt zu den profiliertesten Kulturmanagern Europas und entwickelte als Kaufmännischer Direktor über 26 Jahre hinweg die Bregenzer Festspiele zum internationalen Top-Produkt. Wenige Monate vor seiner Pensionierung im August 2008 hoben er und sein Team mit ZDF-Arena und Bond-Film zwei nie dagewesene Großprojekte aus der Taufe. Nach seinem Abschied als Festspieldirektor startete der Vorarlberger eine zweite Karriere als gefragter Berater namhafter Kulturinstitutionen.